
Oliver Glasner war nach dem 0:2 bei Union Berlin stinksauer. Nach einer guten ersten Hälfte der SGE war der Coach mit der Defensivleistung seiner Mannschaft in Durchgang zwei alles andere als zufrieden: „Am Ende verkacken wir es hinten“, blaffte er. Und das ist nur eine entnervte Aussage von vielen, die Glasner nach dem Spiel an der Alten Försterei von sich gab. Der Trainer prangerte auch die Leistungsfähigkeit seiner Mannschaft an: „Das ist eine Frage der Qualität. Ich weiß nicht, wie man Qualität trainieren kann.“ Es wirkt, als hätte sich in den letzten Wochen einiges aufgestaut. Und tatsächlich: Nach harmonischen und erfolgreichen Monaten läuft es bei der Eintracht nicht mehr wie gewünscht. Und das nicht erst seit der Niederlage in Köpenick.
Das Ausscheiden im Achtelfinale der Champions League gegen Neapel war dabei weder eine Überraschung noch eine große Enttäuschung, viel mehr überwiegt in Frankfurt der Stolz darüber, es überhaupt soweit geschafft zu haben. In der Bundesliga hingegen ist die SGE seit vier Spielen sieglos und die Hoffnung auf die Qualifikation für die Champions League im nächsten Jahr schwindet. Selbst das Erreichen der Europa League oder der Conference League sind nicht in Stein gemeißelt: Aktuell liegt Eintracht Frankfurt mit 40 Punkten auf Rang sechs und spürt die Konkurrenz im Nacken. Die SGE läuft Gefahr, sich in kurzer Zeit eine äußerst vielversprechende Saison zunichte zumachen. Woran liegt das?
Erfolg verpflichtet
„Wir haben die beste Bundesliga-Hinrunde der Vereinsgeschichte gespielt, stehen erstmals im Achtelfinale der Champions League, sind im Viertelfinale des DFB-Pokals dabei – und haben kein Selbstvertrauen. Wir sind Trottel!“ Das sagte Oliver Glasner noch eine Woche zuvor, im Zuge des Ligaspiel gegen den VfB Stuttgart, und deckte damit zwei grundlegende Problemzonen der SGE auf: Leicht herauszulesen ist das fehlende Selbstbewusstsein in der Mannschaft, doch Glasner spricht hier indirekt auch die hohe Erwartungshaltung in Frankfurt an. Letzte Saison wurde der Klub Elfter, mittlerweile erwarten scheinbar viele Fans, dass Eintracht Frankfurt zur Bundesliga-Top-Mannschaft mutiert sein muss. Ein Gedanke, der ob der Leistungen in der Champions League und international begehrten Spielern wie Randal Kolo Muani oder Daichi Kamada nicht von ungefähr kommt.
Es ist ja auch noch gar nicht lange her, da zelebrierten im Mai tausende Fans gemeinsam mit der Mannschaft den Gewinn der Europa League. Da waren die Bilder von ekstatisch feiernden Frankfurtern am Römer, vom Autokorso der Mannschaft durch die aus allen Nähten platzende Innenstadt. 2018 gewann die SGE den DFB-Pokal, 2022 den Europacup. Es schien als, als würde einfach alles gelingen. Mittlerweile ist nicht mehr viel davon übrig, der triste Bundesligaalltag hat die Eintracht eingeholt. Der Vorgeschmack von internationalem Triumph schmeckte süß und damit stieg die Erwartungshaltung. Der wurde der Klub zuletzt jedoch nicht mehr gerecht.
Anspruch und Wirklichkeit
Die aktuell schlechte Phase der Eintracht aber nur auf das Anspruchsdenken zu schieben, wäre zu kurz gedacht. Vielmehr gibt es aktuell Probleme in verschiedensten Bereichen. Da wären zum Beispiel individuelle Fehler in der Defensive, wie bei beiden Gegentoren in Berlin, zum anderen aber auch die enorme Abhängigkeit von Top-Stürmer Randal Kolo Muani. Dazu kommt, dass sich de facto die gesamte Mannschaft in einem Formtief befindet und jegliche Konstanz vermissen lässt. Eine mögliche Ursache für die Problemzonen der Eintracht ist also die fehlende Kadertiefe – oder aber, je nach Lesart, Glasners Unwille zu rotieren.
Dementsprechend forderte der SGE-Coach in seiner Wutrede nach dem Union-Spiel indirekt Neuzugänge, vor allem für den Defensivbereich. Inwieweit Transfers, die dem Wunsch von Oliver Glasner entsprechen, realistisch sind, ist schwer einzuschätzen. Die angeknackste Beziehung zwischen dem Trainer und Sportvorstand Markus Krösche macht dieses Unterfangen aber sicher nicht leichter. Von einem gestörten Verhältnis will Krösche aber ohnehin nichts wissen. Gegenüber der Bild-Zeitung sagte er am Wochenende: „Für mich ist völlig unverständlich, wie in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass Oliver und ich ein gestörtes Verhältnis hätten. Da werden Dinge reininterpretiert, die so nicht stimmen.“
Für persönliche Befindlichkeiten scheint auch gar keine Zeit, schließlich sind doch etliche Europapokalhelden auf dem Sprung. So laufen beispielsweise die Verträge von Innenverteidiger Evan Ndicka und Spielmacher Daichi Kamada aus, eine Verlängerung ist in beiden Fällen äußerst unwahrscheinlich. Zwei Leistungsträger, die Frankfurt also wohl zum Nulltarif verlassen werden. Zudem sind die wichtigsten Offensivspieler der Eintracht heiß begehrt: Randal Kolo Muani und Jasper Lindström befinden sich im Blickfeld zahlreicher internationaler Top-Klubs. Selbst die Zukunft von Trainer Oliver Glasner ist noch nicht geklärt. Die nächsten Monate in Frankfurt könnten wegweisend für die langfristige Entwicklung des Vereins werden.
Es ist nicht aller Tage Abend
Doch die Verantwortlichen bei Eintracht Frankfurt haben in der Vergangenheit schon oft gezeigt, dass sie wichtige Spieler ersetzen können und eine vernünftige Transferpolitik betreiben. Man denke nur an den Abgang der gesamten Büffelherde. Außerdem kann die SGE auf ein stabiles Grundgerüst aus Leistungsträgern bauen und hat sich durch das Erreichen des Champions-League-Achtelfinales finanziellen Spielraum erarbeitet. Durch die internationale Aufmerksamkeit, die den Frankfurtern aufgrund der vergangenen Leistungen zuteil wurde, ist der Verein wesentlich attraktiver für potenzielle Neuzugänge geworden. Insofern ist die Hoffnung durchaus berechtigt, dass die Eintracht in Zukunft dauerhaft weit vorne in der Bundesligatabelle steht.
Und auch die aktuelle Saison ist ja noch lange nicht vorbei: Neun Spiele sind noch zu absolvieren, 27 Punkte zu vergeben. Sechs Punkte fehlen aktuell auf den SC Freiburg. Und falls das nicht klappt, ist da ja noch immer die Chance auf den Titel im DFB-Pokal, dort trifft die Eintracht auf Union Berlin. K.O.-Spiele können die Frankfurter bekanntlich ganz gut. Und mit Union hat man nach dem vergangenen Wochenende sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen.
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