Wer braucht den Titel mehr?
Wow, gleichmal zu Beginn eine dämliche Frage. Denn: Wer braucht schon keinen Titel? Wer braucht kein Glück? Keinen Erfolg? Schon klar. Und obwohl mit Ägypten der Rekordsieger des Turniers (sieben Titel) im Finale antritt, ist die Antwort auf diese Frage ziemlich eindeutig: der Senegal. Denn diese stolze Fußballnation leidet unter einer beispiellosen Titelsehnsucht. Der einzige Titel im Trophäenschrank ist der von den Friendship Games von 1963. Und obwohl das Land die 2002er-Generation um Papa Bouba Diop, Henri Camara oder El Hadji Diouf vergöttert, wird auch ihr vorgeworfen, dass sie die titellose Zeit nicht beenden konnte. Im Finale des damaligen Afrika-Cups verlor der Senegal im Elfmeterschießen gegen Kamerun. Den entscheidenden Elfer vergab Aliou Cissé – der die Nationalmannschaft seit 2015 trainiert und 2019 im Finale an Algerien scheiterte.
„Ja, wir haben damals nicht gewonnen“, sagt Cissé. „Aber wir Spieler und auch die Trainer und Verantwortlichen haben dem Land damals Freude bereitet. Das darf man nicht vergessen.“ Der Trainer kämpft also auch gegen seine inneren Dämonen. Erst der Gewinn des Afrika-Cups würde den Schmerz über den verschossenen Elfmeter, den er laut eigener Aussage noch heute verspürt, wohl vergessen machen können. Und Sadio Mané, Idrissa Gueye, Kalidou Koulibaly und Co., nach dem 2002er Team Senegals zweite goldene Generation, möchte nicht nur als eben solche in Erinnerung bleiben, sondern die Titelsehnsucht endlich beenden. „Ich habe schon viele Titel gewonnen“, sagte Liverpools Mané vor dem Turnier, die Champions League und die englische Meisterschaft etwa. „Doch dieser hier würde mir mit Abstand am meisten bedeuten.“
Wer jubelt schöner?
Auch dieser Punkt geht klar an den Senegal und knüpft an die vorherige Frage an. Denn das Team scheint seine Vorgänger ganz genau studiert zu haben. So imitierte Marseilles Bamba Dieng nach seinem Tor zum 2:0 im Achtelfinale gegen die Kap Verden den Torjubel vom leider viel zu früh verstorbenen Papa Bouba Diop. Der schoss den Senegal bei seiner ersten WM-Teilnahme 2002 im Eröffnungsspiel gegen Titelverteidiger Frankreich zum sensationellen 1:0‑Sieg schoss. Und im Viertelfinale stellte die Truppe nach Famara Diedhious Führungstor den „Shimmy“-Jubel von Diop nach, nachdem er ebenfalls bei der WM 2002 gegen Uruguay traf.
„Ich war überrascht, denn sie haben mir nicht gesagt, dass sie Diops Jubel aufführen würden“, sagte Trainer Cissé. „Seine jüngeren Brüder zollen ihm und der ganzen Generation von 2002 Respekt. Diese Referenzen sind bewegend. Das berührt mich emotional.“
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Wie war der Weg ins Finale?
Für den Senegal ein Kraftakt. In der Gruppenphase gelang der Truppe nur ein Törchen, Sadio Mané traf im Auftaktspiel in der Nachspielzeit gegen Simbabwe vom Punkt zum 1:0. Gegen Guinea und Malawi reichte es jeweils nur zu teils sehr unansehnlichen Nullnummern. Ganz im Stile einer Turniermannschaft kam Senegals Motor ab der K.O.-Phase dann ins Laufen: Es gab ein 2:0 im Achtelfinale gegen die Kap Verden, ein 3:1 im Viertelfinale gegen das Überraschungsteam Äquatorialguinea und ein erneutes 3:1 im Halbfinale gegen das ebenfalls überraschend starke Burkina Faso. Bester Mann dabei so gut wie immer: Sadio Mané, der mit nun ingesamt 29 Länderspieltoren mit Henri Camara in der Liste der besten Torschützen des Landes gleichgezogen ist.
Und Ägypten? Die Pharaonen präsentierten sich lange Zeit wenig glamourös. In der Gruppe ging das Auftaktspiel gegen Nigeria noch mit 0:1 verloren, mit zwei 1:0‑Siegen gegen Guinea-Bissau und den Sudan ging es dann jedoch ins Achtelfinale. Zumindest ab der K.O.-Phase lebten die Spiele dann von der Spannung: Mit einem 5:4‑Sieg nach Elfmeterschießen gegen die Elfenbeinküste, einem 2:1‑Erfolg nach Verlängerung gegen Marokko und dem 3:1‑Sieg nach Elfermeterschießen gegen Kamerun steht das Team nun im Finale. Dabei konzentriert sich bei dem Team alles auf einen Mann: Mohamed Salah.

Doch weiß der beste Spieler des Kontinents bislang zu beeindrucken?
Vincent Aboubakar definitiv nicht. Der Stürmer Kameruns bestimmte vor dem Halbfinale gegen Ägypten die Schlagzeilen. Weniger, weil er zu dem Zeitpunkt bereits sechs Tore auf dem Konto hatte und damit die Torschützenliste des Turniers anführte, sondern wegen eines Interviews. Angesprochen auf Mohamed Salah und dessen starke Form sagte er: „Er spielt eine tolle Saison in der Premier League und half Ägypten dabei, bis ins Halbfinale zu kommen. Ich wünsche ihm stets Glück. Aber er beeindruckt mich nicht.“ Huch? „Ich sage das so klar, weil ich eine ehrliche Person bin. Würde er mich beeindrucken, würde ich das sagen.“ Gut, und warum tut er das nicht? „Er ist ein guter Spieler, er erzielt viele Tore, trägt darüberhinaus aber nicht viel zum Spiel bei. Er ist ein guter Spieler, aber nicht auf dem Level wie ein Kylian Mbappé.“
Und auch wenn Mohamed Salah bei diesem Afrika-Cup noch nicht die Magie versprüht, von der Anfield regelmäßig in den Genuss kommt, ist es natürlich beeindruckend, was der Mann bislang spielt. Nur vier Tore erzielte Ägypten bei diesem Turnier bislang aus dem Spiel heraus. An drei von ihnen war Salah direkt beteiligt. Und doch hat der 29-Jährige mit dem Fluch der Superstars zu kämpfen, die bei ihrer Nationalelf qualitativ alles überstrahlen, diese Qualitäten aber nur phasenweise auf den Rasen kriegen. Manchmal wollen seine Mitspieler ihn so sehr und offensichtlich in Szene setzen, dass die gegnerischen Verteidiger leichtes Spiel haben. Und manchmal hat wiederum Salah mit dem Ball am Fuß Ideen, die seine Mitspieler nicht umsetzen können. Nein, wirklich schön anzusehen waren Ägyptens Spiele bislang nicht. Und doch reicht dem Team oft der eine Moment ihres Superstars. Ob man das nun beeindruckend findet oder nicht.
Im Elfmeterschießen gewinnt…
…wahrscheinlich Ägypten. Sechsmal konnten die Nordafrikaner ein Elfmeterschießen beim Afrika-Cup gewinnen, häufiger als jede andere Nation. Mit Mohamed Abou Gabal, der nur Gabaski genannt wird, hat das Team auch einen echten Elfmeterkiller im Tor. Eigentlich als zweiter Keeper abgestellt, wurde er im Achtelfinale gegen die Elfenbeinküste für den verletzten Mohamed El Shenaway eingewechselt und parierte im Elfmeterschießen einen Strafstoß. Während er im Viertelfinale selbst verletzt ausgewechselt werden musste, biss er im Halbfinale auf die Zähne – und parierte auch gegen Kamerun zwei Strafstöße.

Wer ist Sieger der Herzen?
So einige Nationen hätten das Potenzial dazu. Gambia natürlich, der Turnierneuling, der bis ins Viertelfinale stürmte und dort erst an Gastgeberland Kamerun scheiterte. Burkina Faso sowieso, das erst im Halbfinale gegen den Senegal die Segel streichen musste. Auch Äquatorialguinea überraschte und überzeugte. Allen voran sind hier aber die Komoren zu nennen. Der Inselstaat, erstmals beim Turnier dabei, schaffte es bis ins Achtelfinale und musste dort, weil alle drei Keeper verletzt oder mit Corona ausfielen, mit Linksverteidiger Chaker Alhadhur im Kasten antreten – gegen Kamerun! Spätestens, als Kapitän Nadjim Abdou nach sechs Minuten mit einer Roten Karte vom Platz gestellt wurde, schien das Spiel für Kamerun in ein vorverlegtes Trainingsspielchen umzuschwenken, an dessen Ende eine epochale Klatsche für die Komoren zu warten drohte.
Doch die Komoren wehrten sich tapfer, Alhadhur hielt sogar einige Bälle mit einer sympathisch-unkonventionellen Torwarttechnik und schlussendlich musste sich der Inselstaat nur mit einem mehr als respektablen 1:2 geschlagen geben.

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