
Eine für brasilianische Verhältnisse beschauliche Hafenstadt im Schatten der pulsierenden Metropole São Paulo – das ist die Heimat des Santos Futebol Clube, der von seinen Fans, den so genannten Santista, liebevoll Santástico genannt wird. Das Wortspiel kommt nicht von ungefähr, schließlich hat der FC Santos vor allem in den 60er Jahren Geschichte geschrieben.
Noch wenige Jahre zuvor war der Klub ein mehr oder weniger erfolgloser Mittelstadtverein gewesen. Dann aber veränderten der wundersame Aufstieg seines Stürmers Pelé und Brasiliens Gewinn der Weltmeisterschaft 1958 alles. Der WM-Triumph bescherte dem brasilianischen Fußball ein gesteigertes Interesse und den Vereinsmannschaften zahlreiche Gastspielreisen ins Ausland. Fußball im Samba-Rhythmus war fortan der neueste Schrei, und insbesondere der FC Santos war es, der die Massen begeisterte.
Die beste Vereinsmannschaft aller Zeiten
Kein Wunder, war das Team von Trainer Luis Alonso Perez – genannt Lula – doch großartig aufgestellt: Im Sturmzentrum wirbelten die brandgefährlichen Pelé und Coutinho, auf Linksaußen der pfeilschnelle Pepe, im Mittelfeld zog Zito die Fäden, und Kapitän Carlos Alberto war eine Bank in der Defensive. Santos gewann damals fast 90 Prozent seiner Spiele, dabei deklassierten sie ihre Gegner nicht selten mit Ergebnissen wie 8:0 oder 10:1 – ganz gleich, ob sie nun Juventus São Paulo oder Botafogo hießen.
Der FC Santos war eine Torfabrik: Alleine Pelé markierte im Jahr 1959 sage und schreibe 127 Treffer. Da ist es wenig verwunderlich, wenn etwa die argentinische Zeitung „El Gráfi co“ den FC Santos jener Jahre zur besten Vereinsmannschaft aller Zeiten kürte. Innerhalb eines Jahrzehnts holte die Elf unzählige nationale Titel und zweimal den Weltpokal in die übersichtliche Hafenstadt. Beim ersten Sieg 1962 kam es im Finale gegen Benfica Lissabon zum Showdown zwischen Eusébio und Pelé, den damals spektakulärsten Spielern der Welt. Beide Aufeinandertreffen wurden zu denkwürdigen Partien. Das Hinspiel im Maracanã ging nach einem offenen Schlagabtausch mit 3:2 an Santos. Danach gingen die heimstarken Portugiesen als leichter Favorit ins Rückspiel, doch es kam anders: Pelé harmonierte an diesem Abend wunderbar mit seinem kongenialen Partner Coutinho, und die Brasilianer führten bereits mit 5:0, ehe Eusébio und Santana noch etwas Ergebniskosmetik gelang.
Schaulaufen auf der Weltbühne
Durch dieses beeindruckende 5:2 war der FC Santos nun auch offiziell die beste Vereinsmannschaft der Welt, und das völlig zurecht, denn an diesem Abend bot das Team Fußball von einem ganz anderen Stern. Es war eine glorreiche Zeit für das südamerikanische Land. Nur wenige Wochen nach dem Weltcup-Erfolg des FC Santos fand die WM 1962 in Chile statt, bei der Brasilien seinen Titel verteidigen konnte. Diesmal war der unglaubliche Garrincha der überragende Protagonist eines mittlerweile alternden Teams, dem die Konkurrenz dennoch nicht gewachsen war.
Auch die Vereinsmannschaften profitierten vom Triumph des Nationalteams, vor allem Santos und Botafogo, das Team Garrinchas. Alein im Jahr 1962 wurde der FC Santos 50 Mal zu lukrativen Freundschaftsspielen ins Ausland eingeladen – unter anderem nach New York, Bogota, Kairo, Paris, Basel, Sarajevo, Genua, Manchester und Warschau. Zu dieser Zeit wurde Santos „die Fußballmaschine“ genannt, die Mannen von Trainer Lula tingelten durch die Weltgeschichte wie das Basketballteam der Harlem Globetrotters.
Der Verein verdiente den Großteil seines Etats mit diesen Spielen, ein bisschen wie heute Real Madrid, das mit Kurztourneen in den USA oder Asien mal auf die Schnelle 30 Mio. Euro generiert. Ganz so gewaltige Summen flossen damals natürlich nicht. So musste etwa Aston Villa für ein Match gegen Santos 10 000 Pfund berappen. Geld, das die Gegner der brasilianischen Wunderelf gerne aufbrachten. Zum einen bot diese den Fans eine grandiose Show, zum anderen bekamen sie in der Regel eine kostenlose Lehrstunde über Melodie und Rhythmus eines Fußballspiels geboten.
Triumph der Unbesiegbaren
Santos zauberte wie kein Team zuvor, mit geradlinigem Kurzpassspiel, nie vorherzusehenden technischen Finessen und eleganten Kombinationen. Eine Mischung, der die Konkurrenten allenfalls mit rüder Spielweise und verbalen Sticheleien beikommen konnten. Doch meistens war das verlorene Liebesmüh – zu flink und wendig waren die Männer aus der südamerikanischen Hafenstadt.
Logische Konsequenz der ungebrochenen Spielfreude war der erneute Einzug ins Weltpokalfinale im Jahr 1963. Diesmal stand der FC Santos dem AC Milan gegenüber. Im Hinspiel in San Siro konnten auch die obligatorischen zwei Pelé-Treffer nicht die 2:4‑Niederlage der Brasilianer verhindern. Zu allem Überfluss verletzte sich Pelé – schlechte Voraussetzungen also für eine erfolgreiche Titelverteidigung. Doch es zeigte sich, dass Santos mehr war als nur die Begleitkapelle eines individualistischen Superstars. Zwar führte Milan vor geschätzten 150.000 Zuschauern im Maracanã schnell 2:0, doch hatten die Italiener nicht mit der vermeintlich unbrasilianischen Tugend eines ausgeprägten Kampfgeistes gerechnet. Mit einem immensen Kraftakt und zwei Toren von Pepe sowie je einem von Almir und Lima konnte der FC Santos das Blatt noch wenden und gewann seinerseits mit 4:2 – es kam zum Entscheidungsspiel.
Der Mann der 1000 Tore
Das fand nur zwei Tage später erneut im Maracanã statt. Diesmal war es ein langweiliger Kick, der durch einen Elfmeter für Santos entschieden wurde. Dalmo schoss das Goldene Tor. Erneut also thronten sie über allen. Das hatte Auswirkungen auf die Besetzung der Nationalmannschaft. Als Brasilien am 5. Mai 1963 gegen Deutschland spielte, standen nicht weniger als acht Akteure des FC Santos in der Startelf: Gilmar, Lima, Zito, Mengálvio, Dorval, Coutinho, Pelé und Pepe. Gleichwohl waren dies die Jahre, in der die Seleção die notwendige Verjüngung ihrer Mannschaft versäumte, ein Fehler, der für das bittere Vorrunden-Aus des zweifachen Weltmeisters bei der WM 1966 in England verantwortlich war.
Einzig Pelé ließ sich davon nicht beirren. Er wurde im Jahr 1970 noch einmal
Weltmeister und darüber hinaus in seinen späten Jahren zum Mann der 1000 Tore. Insgesamt brachte es das Genie auf 1281 Treffer in 1363 Spiele, davon 1088 in 1114 Spielen für seinen Heimatverein. Schnöde Zahlen, die aber Zeugnis ablegen über einen atemberaubenden Tempofußball, der in den 60ern alles andere überstrahlte.
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